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Flexibilisierung von Regeln? Nicht, wenn es nach Altverbänden geht...

Veröffentlicht von Toni (toni) am Sep 01 2024
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Noch immer ist der Mythos weit verbreitet, das Bundeskleingartengesetz würde ein Verbot von Wald- und Parkbäumen in Kleingärten enthalten. Und er wird kontinuierlich genährt – von den vermeintlichen Interessenvertretern der Alt-Verbände. Vereine würden die kleingärtnerische Gemeinnützigkeit aberkannt bekommen, stünden zu viele Wald- und Parkbäume in den Parzellen. Oder der Grundstückseigentümer könne wegen solcher Anpflanzungen den Pachtvertrag kündigen, womit alle Kleingärtner ihre Parzellen verlieren würden. Doch nicht die Anerkennungsbehörden oder Grundstückseigentümer sind hier das Problem – die Alt-Verbände selbst sind es sehr häufig!
 
Entgegen der kurz dargestellten mythischen Erzählungen und Drohszenarien verbietet das Bundeskleingartengesetz (BKleingG) Wald- und Parkbäume nicht. Vorrangig ergibt sich aus dem BKleingG die Pflicht, Parzellen kleingärtnerisch zu nutzen. Grob heruntergebrochen bedeutet dies nach der maßgeblichen Rechtsprechung, dass i. d. R. ein Drittel der Gesamtfläche einer Kleingartenanlage zum Anbau von Obst, Gemüse und anderen Gartenbauerzeugnissen genutzt sein muss. Ist diese Bedingung erfüllt, liegt eine ausreichende kleingärtnerische Nutzung vor. Diese kleingärtnerische Nutzung enthält aber auch die Erholungsnutzung (vgl. Mainczyk/Nessler, Praktiker-Kommentar BKleingG, 12. Auflage 2019, § 1 Rn. 4) und eben dieser Nutzungsart können Wald- und Parkbäume zugerechnet werden (vgl. ebenda, § 1 Rn. 7). Der Praktiker-Kommentar von Mainczyk/Nessler ist das Nachschlagewerk, geht es um die Auslegung des BKleingG.
 
Der FairBund freier Kleingartenvereine e. V. hat diese aktualisierte Rechtsauslegung zum Anlass genommen, auf Fraktionen im Rat der Stadt Leipzig zuzugehen. Denn die Stadt Leipzig ist Eigentümerin sehr großer Kleingartengrundstücke und bedeutender Vertragspartner (Verpächter) sowohl des Stadtverbandes Leipzig der Kleingärtner wie auch des Kreisverbandes Leipzig der Kleingärtner Westsachsen.
Ziel des Kleingarten-FairBundes ist es, "dass die Stadt Leipzig als Eigentümerin sehr großer Kleingartenflächen ein Bekenntnis für den Erhalt vorhandener Wald- und Parkbäume sowie anderer kleingartenuntypischer Anpflanzungen abgeben" soll, denn "bis heute werden solche Gewächse in aller Regel rigoros und ausnahmslos bei Pächterwechsel gerodet" (hier nachzulesen). Mit der modernen Rechtsauslegung bietet sich nämlich die Möglichkeit einer Flexibilisierung zu Gunsten der Leipziger Kleingärtner, was zu einer Entschärfung eines sehr streitanfälligen Themas führen würde, so der Kleingarten-FairBund. Er betont aber, dass die Gehölze unverändert weichen müssen, wenn eine ausreichende kleingärtnerische Nutzung verhindert oder behindert wird oder gar Verkehrssicherungserfordernisse beachtet werden müssen.
 
Die Stadtratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen nahm sich der Sache an und formulierte zusammen mit dem BUND Leipzig und dem FairBund freier Kleingartenvereine einen Antrag für den Stadtrat. Dieser Antrag gelangte zunächst in den Kleingartenbeirat der Stadt Leipzig. Dort sind u. a. alle Ratsfraktionen, das Amt für Stadtgrün und Gewässer und eben auch der Stadtverband Leipzig der Kleingärtner sowie der Kreisverband Leipzig Westsachsen vertreten.
 
Das Amt für Stadtgrün und Gewässer zauberte in seinem Verwaltungsstandpunkt zum Antrag eine angebliche "Einzelfallprüfung" aus dem Hut und behauptete doch tatsächlich, es fände in Leipziger Kleingärten keine ausnahmslose Entfernung kleingartenuntypischer Gehölze statt. Diese Behauptung lässt sich sehr einfach als unzutreffend entlarven – allein schon dadurch, dass der Kreisverband Leipzig in den vergangenen Jahren die Protokolle seiner Begehungen von Kleingartenanlagen dem Amt für Stadtgrün als Grundstückseigentümer zukommen ließ. Darin wurden in aller Regel sämtliche Wald- und Parkbäume haarklein aufgelistet, mit dem Vermerk "müssen entfernt werden" und den Ergänzungen "Die Begehung ergab, dass noch vorhandene Park- und Waldbäume sowie unzulässige Koniferen entfernt werden müssen." sowie "Die in den Kleingärten befindlichen Park- und Waldbäume sowie Koniferen (Eiben, Säulenwacholder, Kriechwacholder, Thuja-solitär und Zwergnadelgehölze) sind spätestens bei Pächterwechsel zu entfernen." versehen.
 
Abbildung: Auszüge aus einem Begehungsprotokoll des Kreisverbandes Leipzig der Kleingärtner Westsachsen e. V.
 
Während man beim Amt für Stadtgrün noch Verständnis aufbringen kann, dass man sich einfach keine Arbeit machen sowie den Status Quo unverändert lassen und deshalb die Verantwortung auf das städtische Kleingartenwesen abschieben möchte, gelten solche Ausreden für die beiden vermeintlichen Interessenvertreter der Leipziger Kleingärtner nicht. Der Stadtverband Leipzig der Kleingärtner und der Kreisverband Leipzig der Kleingärtner Westsachsen glänzten in der Sitzung des Kleingartenbeirats vom 16.09.2021 wieder einmal mit Fehlinformation und Unwissen.
 
So behauptete Robby Müller, seines Zeichens langjähriger Vorsitzender und Geschäftsführer des Stadtverbandes, dass es natürlich Einzelfallentscheidungen gäbe. Manche Vorstände in den Vereinen würden die Entfernung von Wald- und Parkbäumen rigoroser durchsetzen, andere wiederum würden das lockerer sehen. Es würde zudem gar nicht gehen, dass der Stadtverband eine ausnahmslose Entfernung fordern könne, wenn eine Kleingartenanlage in einem Landschaftsschutzgebiet liegen würde. Die Entfernung sei nur eine Empfehlung.
 
Nun, nach diesen Äußerungen waren wir angesichts einer so offenkundigen Widersprüchlichkeit zunächst einmal geplättet und desillusioniert.
Denn nur ein halbes Jahr zuvor veröffentlichte der Stadtverband in seiner Postille "Leipziger Gartenfreund" (Ausgabe März 2021) unter der Überschrift "Ein leidiges Dauerthema: Die Sache mit den Wald- und Parkbäumen im Kleingarten" einen Artikel zum Thema. Eingeleitet wurde mit der Frage "Warum müssen Wald- und Parkbäume spätestens beim Pächterwechsel von der Parzelle verschwinden?". Natürlich war auch der Artikel selbst dahingehend ausgerichtet, dass spätestens beim Pächterwechsel – besser noch vorher – alles raus muss, was "nicht statthaft" sei. Einzelfallbetrachtung? Weit gefehlt!
Hinzu kommt und wiegt in unseren Augen noch viel schlimmer, dass der Stadtverband in seiner aktuell gültigen Kleingartenordnung (2018) vorschreibt, dass u. a. Wald- und Parkbäume "fortlaufend … zu entfernen, jedoch spätestens bei Pächterwechsel zu roden und zu entsorgen" sind (Kleingartenordnung, S. 24). Diese Kleingartenordnung "gilt in allen Mitgliedsvereinen des Stadtverbandes" und ist "bindend für alle Pachtverhältnisse der Kleingärtnervereine mit dem Stadtverband und für alle Pachtverhältnisse über Kleingärten" (Punkt 1.2.). Der Stadtverband schreibt also allen seinen Mitgliedsvereinen und jedem Pächter eines Kleingartens in diesen Vereinen vor, einen ausnahmslosen Kahlschlag spätestens bei Pächterwechsel vorzunehmen. Einzelfallprüfung? Weit gefehlt!
Welche Absichten Müller mit einem so grundhaft und offenkundig widersprüchlichen Verhalten verfolgt oder ob dies etwa ein Zeichen für eine ebenso grundhafte Ungeeignetheit als Geschäftsführer (ein Geschäftsführer eines Verbandes, der eines der wichtigsten eigenen Regelwerke nicht kennt?) ist, können wir nicht einschätzen. Er hat als Interessenvertreter seiner Mitgliedsvereine in unseren Augen jedenfalls auf ganzer Linie versagt, indem er die Möglichkeit zur Flexibilisierung dieser sehr streitträchtigen, selbst geschaffenen Vorschrift nicht nur nicht nutzte, sondern sie sogar zu verhindern versuchte.
 
Die Beteiligung des Kreisverbandes Leipzig der Kleingärtner Westsachsen an der Diskussion im Kleingartenbeirat überraschte uns hingegen überhaupt nicht. Dessen Vertreter bestätigte mit seiner Äußerung, dem Kreisverband wäre bezüglich der Behandlung von Wald- und Parkbäumen eine Unterscheidung zwischen kommunalen und privaten Eigentümern nicht möglich, nur die dort offenbar weit vorherrschende und grundlegende Inkompetenz. Wir fragen uns angesichts dieser offenkundigen Überforderung mit derzeit 132 Mitgliedsvereinen ernsthaft, wie es Vereine mit 200, 300 oder gar noch mehr Parzellen schaffen, bei jedem einzelnen Vertragspartner die jeweils individuellen vertraglichen Absprachen zu berücksichtigen. In den jeweiligen Vertrag schauen? Nein, das geht doch nicht!
Die Idee, eine entsprechende Positionierung des "Großgrundeigentümers" Leipzig zum Anlass zu nehmen, auch andere Grundstückseigentümer auf die neue Rechtsauslegung aufmerksam zu machen und am besten entsprechende Vertragsergänzungen zu erreichen, ist wohl einfach zu weit hergeholt.
 
Unsere zu Beginn des Engagements des FairBund freier Kleingartenvereine e. V. in der Sache gehegte Hoffnung, Stadtverband und Kreisverband könnten die Zeichen der Zeit erkennen und eine Änderung zu Gunsten der hiesigen Kleingärtner erreichen, entpuppte sich damit als unbegründet. Zugegeben: sehr groß war diese Hoffnung nicht. Dafür beobachten wir die selten positive Entwicklung dieser beiden Alt-Verbände einfach schon zu lange.
 
(am)

Zuletzt geändert am: Sep 01 2024 um 01:40:55

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